Über die Vergangenheit lernen – Ein Besuch im Dokumentationszentrum

Am 30.08.2021 besuchten die Kurse EN2 und ge3 der elften Klassen im Rahmen eines Wandertages das Dokumentationszentrum des Landes MV für die Opfer der Diktaturen in Deutschland.

Aufgrund der Corona-Pandemie und der mit ihr verbundenen Einschränkungen war der Besuch einer Gedenkstätte im vorhergehenden Schuljahr nicht möglich. Deshalb gaben unsere Lehrer uns die Möglichkeit, dies nachzuholen und uns mit neuerer deutscher Geschichte zu beschäftigen.

Das in Schwerin am Obotritenring befindliche Dokumentationszentrum ist ein Ort, an dem mehrere Zeiten aufeinandertreffen. Und mit diesen Zeiten ihr Unrecht. Es ist ein ehemaliges Gefängnisgebäude, das 1916 erbaut wurde und über einen Zeitraum von vielen Jahrzehnten sowohl der Weimarer und der nationalsozialistischen Justiz als auch der sowjetischen und DDR-Justiz unterstellt war. Dort, wo früher bis zu zehn Insassen in einer Zelle hocken mussten, stehen heute Informationstafeln, die die Besucher aufklären und ihnen das Vergangene näherbringen sollen. Sie erzählen von Folter, physischer und psychischer Gewalt und vom Schicksal jener, die unter ungerechter deutscher Justiz zu leiden hatten.

Zu ihnen gehörte Benno Prieß. Seine Lebensgeschichte zählt zu jenen, die man uns während unseres Aufenthalts nähergebracht hat. Auf den ersten Blick mag er sich nicht sonderlich stark von anderen Verurteilten seiner Zeit unterscheiden, aber es ist der Umgang mit seinem Schicksal, der mir so bemerkenswert erscheint, dass ich dem Leben von Benno Prieß im Folgenden nun ein wenig Raum geben möchte.

Im Jahr 1928 geboren, wurde Benno Prieß noch als Kind in den Krieg geschickt, um gegen die Soldaten der Sowjetunion zu kämpfen. Den Krieg hat er überlebt, aber wenig später wurde er mit acht weiteren Jugendlichen und Kindern von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet. Man warf ihm vor, Mitglied des sogenannten „Werwolfs“ – einer Art nationalsozialistischer Guerillagruppierung – zu sein. Viele Jahre später würden sich die Vorwürfe als haltlos erweisen, ein Umstand, für den sich die Verantwortlichen damals nicht interessierten. Benno Prieß wurde gemeinsam mit den anderen Jugendlichen zu zehn Jahren Haft verurteilt, während Erich Hecht – der Älteste der Gruppe – als Anführer ausgemacht und deshalb zum Tode verurteilt wurde.
Haft bedeutete für den Rest der Gruppe Arbeit und Folter in Spezial- und Arbeitslagern. Immer wieder wechselten sie ihren Haftort, kamen von Torgau über Bautzen nach Sachsenhausen und Waldheim. Hier war der Kontakt zu den Eltern, anderen Verwandten oder Freunden strikt reglementiert und demnach kaum möglich. Drei der Mitverurteilten haben ihre Strafe nicht überlebt und sind in Folge der schweren Haftbedingungen verstorben.

Zwei Jahre vor dem eigentlichen Ende der Strafe beschloss das Oberste Gericht der UdSSR eine vorzeitige Entlassung der noch lebenden Jugendlichen, wobei der Schaden schon angerichtet worden und nicht mehr rückgängig zu machen war. Die Jungen, die vor acht Jahren verurteilt worden waren, waren nun erwachsene Männer, traumatisiert und in gesundheitlich schlechter Verfassung. Benno Prieß gelang die Flucht in den Westen, dort konnte er sich ein neues Leben aufbauen.

Erst 1993 – 47 Jahre nach ihrer Verurteilung – kam es zu einer offiziellen Rehabilitierung der zu Unrecht Verurteilten.

Benno Prieß steht sinnbildlich für das Projekt des Dokumentationszentrums. Obwohl ihm so viel Leid widerfahren war, hat er seine Vergangenheit nicht verdrängt, sondern versucht, ihr – und damit auch der deutschen Vergangenheit – Herr zu werden. Zeit seines Lebens hat er die Geschehnisse für die Öffentlichkeit immer wieder aufgearbeitet, so schrieb er zum Beispiel zwei Bücher über seine Erfahrungen in den Lagern.

Angesichts der vergangenen Schrecken wirkte der Besuch bedrückend auf uns. Einer Mitschülerin erschien die gesamte Einrichtung, die wir im kaum veränderten Zustand vorfanden, als „morbide“. Wahrscheinlich, weil uns die Vergangenheit und die Vorstellung von dem, was hier Menschen angetan wurde, unangenehm nah gekommen ist.
Sicher hätte man nach dem Ende der DDR das Gefängnisgebäude weiter benutzen oder einfach abreißen können, stattdessen entschied man sich so wie Benno Prieß. Das Vergangene wurde nämlich nicht ruhen gelassen, sondern stattdessen ein Ort geschaffen, an dem wir uns mit ihm auseinandersetzen können. Ein Ort, der zur Aufklärung seiner Besucher dient und zum Gedenken an diejenigen, die unter deutschen Diktaturen gelitten haben.

Während meines Besuches haben viele unterschiedliche Eindrücke auf mich eingewirkt, deren Essenz ich wie folgt in Worte fassen würde: Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen und genauso wenig Wiedergutmachung leisten. Es bleibt uns nur der mahnende Blick zurück.

Schulreporter Jan