An manchen Tagen, an besonders Kraft kostenden Tagen gleicht es einer der existentialistischen Fragen: Wozu das alles? Warum gehen wir eigentlich in die Schule? Wozu gehen wir hier beinahe täglich hin, schreiben Tests, beteiligen uns an Unterrichtsdebatten und lernen? Zynisch betrachtet, tun wir all dies für ein gutes Abschlusszeugnis, auf das wir dann unsere Pläne und Träume für die Zukunft aufbauen können. Schule wird dann zur Notwendigkeit, aber sie entbehrt ihres eigentlichen, bedeutsameren Sinns.
Am 16. März um 18:00 Uhr gelang es meinen Mitschülern im NDR-Landesfunkhaus, diesen Sinn wieder zu entdecken. Es war die Eröffnung der Kunstausstellung Weltenwandel der jetzigen zwölften Klassen des Fridericianums, genauer der Kunstkurse unter der Leitung von Frau Witt. Die Früchte von vier Semestern Kunstunterricht können hier betrachtet werden.
Zu Beginn richtete Christian – der selbst zur Ausstellung beigetragen hat – einige wertschätzende Worte an seine Kunstlehrerin. Frau Witt stand ihren Kursen nicht nur unterstützend zur Seite, sondern stellte ihnen auch sie zunächst überfordernde Aufgaben, an denen es ihnen letztendlich zu wachsen gelang. Christians Mitschüler gingen ebenso nicht leer an Lob aus. Er betonte vor allem die enormen Anstrengungen, die in die Werke selbst geflossen seien.
Zur musikalischen Begleitung der Eröffnung trugen unter anderem Judith, Romy und Patricia bei. Neben dem düsteren „Pumped Up Kicks“ von Foster The People spielten sie auch das Intro-Thema der Serie „Game of Thrones“. Beides Titel, welche die fantastischen, abgründigen Welten der Ausstellung passend untermalten.
Ein Teil der Ausstellung sind die surrealistischen Gemälde, die im ersten Semester entstanden waren. Aufgabe war es, entweder ein Gedicht oder einen bereits geträumten Traum auf die Leinwand zu bringen. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Der Surrealismus gab den Künstlern – so kann man sie zweifelsohne nennen – die Möglichkeit einer ganz besonderen Selbstbespiegelung. Zu sehen sind Landschaften, die der Realität nachempfunden, ihr jedoch seltsam entrückt sind. Da sind Figuren, die menschlich oder doch etwas viel Gefährlicheres sein könnten. Die Werke sind originell und konfrontieren den Betrachter mit unbeantwortbaren Fragen: Wie unterscheidet sich die Traumwelt von unserer, was ist also Realität? Es gibt heutzutage nur noch wenig Raum für Jugendliche, die sich solchen Fragen kreativ widmen wollen. Wenn ich vorhin die Sinnhaftigkeit der Schule angezweifelt habe, so wird der Zweifel hier wieder aus dem Weg geräumt.
Von den Traumwelten geht es nun in die nicht weniger fiktiven Welten der Produkte und ihrer Vermarktung. Im vierten Semester war es die Aufgabe, Werbungen zu den im zweiten Semester designten Parfümflakons zu erstellen. Werbung ist wohl eher nicht das, was man landläufig unter Kunst versteht. Sie gehört zur Alltagskultur und ist heute mehr denn je ein Teil unserer Lebensrealität. Und dennoch weist die Reklame meiner Mitschüler enorme Raffinesse auf. Jedes Plakat ist eine kleine Repräsentation eines käuflichen Lebensgefühls. Die Parfüms tragen Namen wie „La femme“ oder „Les contraires“ und versprechen mal Frische und Leichtigkeit und mal Intimität und Abenteuer. Eine Mitschülerin sagte mir, dass ihnen bei der Arbeit an der Werbung „die Wichtigkeit eines gestalterischen Konzepts“ bewusst geworden sei.
Die Collage, die neben der Fotografie im Zentrum des dritten Semesters stand, führt viele Welten in eine zusammen. Zeitungsartikel treffen mit Katalogen und Bleistiftzeichnungen aufeinander und schaffen etwas Neues. Manche Collagen sind in ihrer Bedeutung offener angelegt als andere. Allen ist das Verbinden von eigentlich Unverbindlichem gemein, Kontext stellen nur der Bildrahmen oder unscheinbare Titel wie „Ein Tag im Park“ her.
Ein weiteres Highlight stellen die bereits angesprochenen Fotografien dar. Das einfach anmutende Thema lautet „Schatten“ und hat doch wohl gerade wegen seiner Einfachheit die größten formellen Abweichungen produziert. Ein Foto trägt beispielsweise den Titel „Sparflamme“ und bildet eine Art in violettes Licht getauchte Höllenlandschaft ab. Vielleicht – so meint die Künstlerin – stellt es das sehr spezifische Gefühl dar, das sich nach einer langen Stressperiode einstellt: Entspannung in der Erwartung schon bald wieder aufkommender Probleme. Im Gegensatz dazu mutet „Schattengesellschaft“ fast sozialrealistisch an. Zu sehen ist eine Häuserfassade. Im Schatten eines Baumes liegt neben einem Geldautomaten ein Obdachloser, der auf dem schwarz-weißen Foto beinahe Teil der Fassade wird. „Schattengesellschaft“ gehört zu den beeindruckendsten Bildern der Ausstellung. Es porträtiert einen Marginalisierten, einen Repräsentanten einer Bevölkerungsgruppe, der von uns in den Schatten der Gesellschaft gedrängt wurde.
Was ist also dieser Weltenwandel? Er meint die Veränderung von Bilderwelten und Ausdrucksformen, die auch immer im Kontext zu unserer Welt stehen. Eine Welt, die sich im Zeitalter der Digitalisierung ebenso schlagartig zu verändern scheint. Um angesichts des Wandels nicht zu verzweifeln, müssen wir ihm mit der Kunst begegnen. In der Welt selbst lernen wir das nicht, aber vielleicht in der Schule. Ganz sicher haben es die zwei Kunstkurse von Frau Witt gelernt, denen man samt ihrer Lehrerin ein großes Lob aussprechen muss. Diese Ausstellung ist erstaunlich und das Ergebnis großer Anstrengung, welche die gesamte Mühe aller Beteiligten wert war.
Die Ausstellung konnte bis zum 16. April 2023 besucht werden.
Schulreporter Jan